• Traditionelle Marktsegmente wie Stahl, landwirtschaftliche Erzeugnisse/Nahrungsmittel und Chemikalien, bilden die Grundlage der Binnenschifffahrt. Die Stahlnachfrage wird sich voraussichtlich auch in den Jahren 2022 und 2023 positiv entwickeln, allerdings in einem moderateren Tempo. Die chemische Industrie sieht sich aufgrund von Unterbrechungen der Lieferkette und gestiegenen Produktionskosten mit einer geringeren Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen konfrontiert.
• Im Nahrungsmittel- und Agrargütersegment wird ukrainisches Getreide innerhalb des Landes blockiert, was den Anstieg der Rohstoffpreise und die Verknappung des Getreides in den Importländern weiter anheizt.
• Daher müssen alternative Handelswege für Getreide geschaffen werden. Diese neuen Routen könnten zumindest teilweise der Binnenschifffahrt zugute kommen. Ein Beispiel ist der verstärkte Export von Getreide aus nordfranzösischen Regionen nach Nordafrika, der die Binnenschifffahrt im Hinterland einbezieht.

 

  • Die Binnenschifffahrt stützt sich in ihrer derzeitigen Struktur auf traditionelle Marktsegmente. Beispiele hierfür sind die Segmente Stahl, landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nahrungsmittel sowie Chemikalien.
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    Segment Eisenerze und Stahl
     

  • Auf dem Rhein entfallen rund 24,4% des gesamten Güterverkehrs auf die Stahlerzeugung (Eisenerz, Stahlschrott, Kokskohle, Metalle, Metallerzeugnisse). Auf der Donau ist dieser Anteil noch höher und beträgt für die mittlere Donau 40,3%.
  • Die Stahlproduktion in den Rheinstaaten erholte sich 2021 und erreichte 70,8 Mio. Tonnen, was 13% über dem Wert von 2020 lag. Im Vergleich zu 2019 war jedoch immer noch ein Rückstand von 2% zu verzeichnen. Die Beförderungsmenge von Eisenerz auf dem Rhein erreichte 2021 21,4 Millionen Tonnen und lag damit 16% höher als 2020, so dass gegenüber 2019 nur eine kleine Lücke von 1% blieb. Im Jahr 2021 lag die Beförderungsleistung von Eisenerz um 22% höher als 2020 und um 3% höher als 2019.
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    ABBILDUNGEN 1 UND 2: STAHLPRODUKTION IN DEN RHEINSTAATEN UND EISENERZBEFÖDERUNG AUF DEM TRADITIONELLEN RHEIN



    Quellen: Weltstahlverband, Eurofer, Destatis, Berechnung ZKR
     

  • Die Stahlproduktion in den Donaustaaten60 belief sich im Jahr 2021 auf 20,5 Millionen Tonnen, was einem Anstieg von 19% gegenüber 2020 entspricht.
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    ABBILDUNGEN 3 UND 4: STAHLPRODUKTION IN DEN DONAUSTAATEN UND EISENERZTRANSPORT AUF DER UNTEREN DONAU *



    Quellen: World Steel Association, Eurofer, Eurostat [iww_go_atygo]
    * Untere Donau = Rumänien und Bulgarien. Die Daten für die Länder der mittleren Donau fehlen größtenteils.

     
     
    Ausblick für das Segment Stahl
     

  • Nach Angaben des europäischen Stahlverbands Eurofer61 dürfte sich die Stahlnachfrage im Jahr 2022 weiter erholen, allerdings in einem moderateren Tempo. Der Grund für die Abschwächung nach der kräftigen Erholung im Jahr 2021 hängt mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 zusammen. Dies hatte weitreichende Auswirkungen auf die Energiepreise, den Welthandel und die Lieferketten.
  • Im Jahr 2022 dürfte sich das Produktionswachstum der stahlverarbeitenden Sektoren fortsetzen, aber die Wachstumsrate wurde von +4% auf +2% nach unten korrigiert. Die neue Situation hat die Aussichten für 2023 mit großer Unsicherheit behaftet. Dennoch wird für dieses Jahr eine bescheidene Wachstumsrate von 2,3% prognostiziert.
  • Der Weltstahlverband unterscheidet sich in seinem Ausblick von Eurofer. In seinem kurzfristigen Ausblick vom April 2022 geht der Verband von einem leichten Rückgang der Stahlnachfrage in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich um 1,3% im Jahr 2022 und einem Wiederanstieg um 4,0% im Jahr 2023 aus.62 Für die Jahre 2022 und 2023 herrschen jedoch Unsicherheiten. Aufgrund des Inflationsdrucks und des Krieges in der Ukraine ist die Erwartung einer anhaltenden und stabilen Erholung von der Pandemie erschüttert worden.
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    Landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nahrungsmittel
     

  • Landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nahrungsmittel haben in der Rheinschifffahrt einen Anteil von etwa 10% und in der Donauschifffahrt von etwa 23%. Im Allgemeinen wird der landwirtschaftliche Verkehr auf den Binnenwasserstraßen in einem bestimmten Jahr teilweise durch die Ernteergebnisse des Vorjahres bestimmt.
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    ABBILDUNGEN 5 UND 6: ERTRAG DER GETREIDEERNTE IN DEN RHEINSTAATEN UND BEFÖRDERUNG VON LANDWIRTSCHAFTLICHEN ERZEUGNISSEN



    Quelle: Eurostat [apro_cpsh1] und [iww_go_atygo]
     

    ABBILDUNGEN 7 UND 8: ERTRAG DER GETREIDEERNTE IN DEN DONAUSTAATEN UND BEFÖRDERUNG VON LANDWIRTSCHAFTLICHEN ERZEUGNISSEN



    Quelle: Eurostat [apro_cpsh1] und [iww_go_atygo]
     
     
    Ausblick für das Agrar- und Lebensmittelsegment
     

  • Der Krieg hat die ukrainischen und russischen Exporte von Getreide, Weizen und Mais unterbrochen, vor allem aufgrund der Schließung ukrainischer Häfen und der gegen Russland verhängten Sanktionen. Der sich daraus ergebende rasche Anstieg der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse wird voraussichtlich das ganze Jahr 2023 über anhalten und durch die verzögerten Auswirkungen der Ernte im Jahr 2022 vorangetrieben.
  • Diese Situation führte zu großen Getreidebeständen in der Ukraine (13 Millionen Tonnen bis Ende März), die nur per Bahn transportiert werden können, da die Seehäfen blockiert sind. Die wachsenden Lagerbestände und die begrenzten Absatzmöglichkeiten setzten die Getreidepreise weiter unter Druck.
  • Die ukrainische Getreideausfuhr wird sich wahrscheinlich nicht schnell erholen, da der Krieg die Ernte verwüstet und verunreinigt hat. Außerdem hat er die Aussaat neuer Kulturen stark beeinträchtigt. Daher ist zu erwarten, dass die Länder, die in hohem Maße von Agrarimporten aus der Ukraine abhängig sind (vor allem Nordafrika, der Nahe Osten und Asien), ihre Nachfrage auch auf andere Getreideexporteure richten werden.
  • Eine solche Region könnte der mittlere Donauraum sein, aus dem Getreide in größeren Mengen auf der Donau exportiert werden könnte. Im März 2022 beschloss Ungarn als ein Land an der mittleren Donau mit einer großen landwirtschaftlichen Produktion jedoch, die Ausfuhr von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu beschränken. Diese Entscheidung wurde als Reaktion auf die angespannte Lage auf dem Weltgetreidemarkt aufgrund des Krieges in der Ukraine getroffen.
  • Eine weitere Region mit einer hohen landwirtschaftlichen Produktion ist Nordfrankreich. Der Fluss-See-Hafen von Rouen ist der größte Exporthafen für Getreide in Europa. In der Erntesaison von Mitte 2021 bis Mitte 2022 wird das Volumen voraussichtlich zwischen 7,5 und 8,0 Millionen Tonnen liegen. In der Erntesaison von Mitte 2019 bis Mitte 2020 lag das Volumen bei 9,9 Millionen Tonnen. Angesichts der geopolitischen Spannungen kehren alte Handelspartner wie Algerien, Marokko, Tunesien und westafrikanische Länder zum Hafen von Rouen zurück, um ihren Bedarf an Getreide zu decken.63 Diese Wiederbelebung alter Handelsstrukturen könnte sich positiv auf die Getreideexporttätigkeit des Hafens Rouen und damit auch auf den Hinterlandtransport von Getreide auf den Binnenwasserstraßen in Nordfrankreich auswirken.
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    Chemikalien
     

  • Der Anteil der auf dem Rhein beförderten Chemikalien (Jahr 2021) beträgt 11,6%, auf der Donau 10,8%. Die Beförderungsleistung für Chemikalien in den Rheinstaaten ist in den letzten fünf Jahren mehr oder weniger stabil geblieben, mit nur einem deutlichen Rückgang im Jahr 2018 (Niedrigwassereffekt). Die auf der Donau beförderten Mengen an Chemikalien folgen, wenn auch auf niedrigerem Niveau, einem positiven Trend, mit einigen Schwankungen. Von 2019 bis 2020 ist ein signifikanter Anstieg von 39% bei der Beförderung von Chemikalien auf der Donau zu verzeichnen.
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    ABBILDUNGEN 9, 10, 11 UND 12: INDEX DER CHEMIEPRODUKTION IN DEN RHEIN- UND DONAUSTAATEN UND TRANSPORT VON CHEMIEPRODUKTEN





    Quelle: Eurostat [STS_INPR_A], [IWW_GO_ATYGO]
     
     
    Ausblick für das Chemiesegment
     

  • Die chemische Industrie ist eine energieintensive Industrie. Sie verwendet vor allem petrochemische Stoffe als Ausgangsmaterial. Angesichts des starken Preisanstiegs bei Rohöl und Erdölprodukten sieht sich die Industrie mit steigenden Produktionskosten konfrontiert.
  • Der Verband der Chemischen Industrie in Deutschland sieht in dieser Entwicklung einen Hauptgrund für seine Abwärtsrevision der Konjunkturaussichten. Hinzu kommt, dass aufgrund von Unterbrechungen in den Lieferketten das Produktionsniveau in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft gedrosselt wird. Dies führt auch zu einer geringeren Nachfrage nach chemischen Produkten. Für die deutsche Chemieindustrie hätte ein Gasembargo oder ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland zusätzlich „verheerende Auswirkungen“.64